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Literatur

Drei Frauen

Erzählung
Würth-Preis für Literatur 1997

Die Liebe, der Regen und der Tod

Roman

Beinahe zwanzig Jahre hatte sie in ständiger Angst vor diesem Moment gelebt. Doch als die beiden Männer vor ihr standen, ihre Ausweise zückten und sich als Beamte der königlich – norwegischen Kriminalpolizei vorstellten, empfand sie weder Angst noch sonst irgendetwas. Plötzlich breitete sich eine Leere in ihr aus, die alles, was um sie geschah, in weite Ferne rückte.

„Sind sie Umeima Bahrami ?“, fragte der Ältere, während der Jüngere sie nicht aus den Augen ließ. Sie nickte nur.

„Sie wissen, dass gegen sie ein internationaler Haftbefehl vorliegt?“

Sie schüttelte den Kopf . . .

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Drei Tage nach der Geburt ihres ersten Kindes lag Rachel bleich und tot in ihrem Bett, und der Arzt schüttelte nur den Kopf, als Thomas ihn fragte, warum seine Frau gestorben war. So blieb ihm nur, der Toten einen Besuch abzustatten und sie um Vergebung zu bitten, daß er sie zweimal in den letzten Ta­gen im Stich gelassen hatte. Denn allein war Rachel zum Krankenhaus gefahren, um ihren Sohn zur Welt zu bringen, weil Thomas auf den Weiden nach dem Vieh sah, das wegen des Dauerregens im Schlamm zu versinken drohte. Allein war sie auch gestorben, innerhalb weniger Stunden und ohne viel Aufhebens, so wie es ihre Art war, während Thomas bei sei­nem Freund Seamus saß, dessen Haus so abgelegen war, daß kein Unternehmen ein Telefonkabel dorthin verlegt hätte . . .

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Das Liebeswerben des Zaunkönigs

Roman – in statu nascendi

Ein beinahe klassischer Mord

Kriminalroman

Zuerst war da nur dieses Rauschen, das man für das Rau­schen von Blättern einer Eiche oder Buche hätte halten kön­nen, wäre es nicht erst Anfang März gewesen, eine Zeit, in der Blätter allenfalls Knospen sind und Wind des­halb kein Ge­räusch mit ihnen erzeugen kann, das einem Rauschen auch nur annähernd ähnlich wäre. Auch war es draußen windstill, und da es langsam dämmerte, konnte man ein Flugzeug er­kennen, eine alte Propellermaschine, dem Kenner vertraut unter dem Namen Polikarpow I-16, hier in der zweisitzigen Trainerversion, wie sie in Russland im Zwei­ten Weltkrieg zur Ausbildung der Piloten zum Einsatz kam, während die einsitzige Version ausschließlich für den Kampfeinsatz vor­gesehen war. Dieses Flugzeug rollte langsam zur Startbahn, wes­halb das gleichmäßige Rauschen während der Aufwärm­pha­se des neunzylindrigen Sternmo­tors jetzt in ein unregel­mä­ßiges, an- und abschwel­lendes Brausen überging, je nach­dem, ob das Flugzeug eben einer längeren Gerade auf einer Taxiroute folgte oder wegen einer Kurve die Geschwindig­keit reduzierte.

Das Bemerkenswerte war, dass sie von einem Mann gesteu­ert wurde, der solch eine Maschine schon im Großen Vater­ländischen Krieg hätte fliegen kön­nen, was an sich schon eine bemerkenswerte Leistung ist, wenn man bedenkt, dass das Ende dieses Krieges jetzt fast genau 45 Jahre zurücklag und wir uns in dem Jahr befinden, das unter normalen Umständen als das Jahr des russischen Hochs in die Annalen einge­gangen wäre, wenn nicht dum­merweise kurz zuvor die UdSSR zusammengebrochen und Russland in letzter Konsequenz allein und ohne Satrapen übrig geblieben wäre.

Noch bemerkenswerter aber als unser Pilot ist die Blondine an seiner Seite, die, offensichtlich in leichte Abendgardero­be gekleidet, ihre nackten Schultern mit dem Fell eines Po­larfuchses vor der zweifelsohne feuchten Kühle des begin­nenden Vorfrühlingstages schützte.

Sollte der Pilot tatsächlich schon im erwähnten Krieg sein Vaterland vor den Aggressoren verteidigt haben, was sehr wahrscheinlich ist, denn wer könnte heute noch eine Poli­karpow I-16 fliegen, die seinerzeit als kapriziös galt, was damals nicht viele für den Dienst an diesem Fluggerät quali­fizierte, dann wäre er heute vermutlich ein hochdekorierter General kurz vor oder nach seiner Pensionierung, der eben mal mit seinem alten Arbeitsgerät von Leningrad oder Moskau auf diese nur noch halb von den Russen ge­nutzte Militärbasis vor den Toren Berlins geflogen ist.

Fragt sich nur, warum?

Diese Frage lässt sich an dieser Stelle nicht abschließend klären.

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Es war einer jener Montage, die bei Hubertus von Kronen­­berg in letzter Zeit ein leichtes Unwohlsein in der Magenge­gend auslösten. Und immer öfter stellte er sich an solchen Montagen die unangenehme Frage, ob es wirk­lich eine gute Idee gewesen war, ausgerechnet in dieser Stadt ein Detek­tivbüro aufzumachen.

Seine Sekretärin Polly war, wie üblich nach einem Wochen­ende, verspätet, und auf dem Anrufbeantworter war nur Tante Claras me­tallene Stimme, die ihn – wie jede Woche – zum Tee mit seinen drei an­deren Tanten einlud.

Seit Wochen hatte kein Klient mehr zu ihm gefunden, und Polly hatte vermutlich noch nicht einmal alle Rechnungen ge­schrie­ben. So brauchte er den Brief seiner Bank, der wie eine Dro­hung im Briefkasten gelegen hatte, gar nicht zu öffnen. Wußte er doch eh, was drin stand:

Sehr geehrter Herr von Kronenberg,

nach unseren Unter­lagen haben Sie ihr Konto um soundsoviel zu unseren Gunsten überzo­gen. Wir möchten sie daher bitten, in den nächsten Tagen den Saldo auszugleichen oder zu ei­nem persön­li­chen Gespräch in unserem Hause mit dem Kredit­sachbearbeiter So­wieso vorbeizukommen. Ich bin sicher, daß wir eine günstigere Lö­sung für Sie finden können …“

So oder so ähnlich klangen all die Schreiben seiner Bank, die jetzt in immer kürzeren Abständen bei ihm eintrafen.

Ungeöffnet beförderte Hubertus den Brief mit einem be­herzten Wurf in den Papierkorb. Dann setzte er sich hinter seinen Schreib­tisch, lehnte sich in dem großen Ohrensessel, den er wie die übrige Einrichtung von seinem Vater geerbt hatte, zurück und schloß die Augen. Heftige Bewegung in sei­nem Magen erinnerte ihn daran, daß er heute noch nicht ge­frühstückt hatte. Aber Hubertus war jetzt überhaupt nicht nach Frühstück zumute. Mußte er sich doch der unausweichlichen Tatsache stellen, daß über kurz oder lang die Bank sein Konto sperren würde, und er dann weder das Gehalt von Polly noch seine Miete würde zahlen können. Dieser Gedanke war nicht dazu angetan, den Aufruhr in der Magengegend zu besänf­ti­gen. Im Gegenteil. Rebellische Magensäuren schienen gerade jetzt einen heimtückischen Angriff auf seine empfindliche Magenschleim­haut zu starten. Hubertus seufzte. Die Tatsache, daß seine Dienste als diskre­ter Ermittler immer seltener in An­spruch genommen wurden, ließ nur einen Schluß zu: Untreue schien irgendwie aus der Mode gekommen zu sein. Der Abzug der Diplomaten aus der Stadt hatte doch eine empfindliche Lücke in seiner Klientel hinterlassen. Und seit Einführung des Zerrüt­tungsprinzips und der um sich grei­fenden Unsitte von Eheverträgen war es im Falle des Scheiterns von Liebe und Ehe sowieso ziemlich gleichgültig, wer wen betrogen hatte. Waren dadurch doch Eheschließung wie Scheidung fast aus­schließlich zu einer Domäne von cleveren Anwälten gewor­den, die als einzige Berufsgruppe sowohl vom Glück als auch vom Unglück zweier Menschen profitierten. Hubertus seufzte noch einmal tief. Der Teufel mußte ihn geritten haben, als er sich damals – vor einigen Jahren – entschloß, Detektiv zu wer­den, anstatt sein Studium abzuschließen und einen ordent­li­chen Beruf zu ergreifen.