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Ruhestände – Leben im Alter

RUHESTÄNDE – Leben im Alter

Wie werden wir das Alter erleben? Eher wie die Knechte und Mägde im Berner Oberland, die weiterhin das Feld versorgen oder in der Küche mithelfen? Oder verlangt es uns mehr nach der Agilität der jugendlich wirkenden amerikanischen Senioren aus Sun City, Arizona?

Friedrich K. Rumpf hat zwei Welten dokumentiert, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Und man könnte seine RUHESTÄNDE auch UNRUHE-STÄNDE nennen.

Die Schere öffnet sich immer mehr, unser demographischer Wandel teilt schon heute Alte und Rentner in mehrere Kategorien. Würde im Alter bleibt eine Herausforderung an jeden einzelnen wie auch an die sozialpolitisch Verantwortlichen.

In den Gesichtern der Knechte und Mägde des „Dienstbotenheims“ der Geschwister-Affolter-Stiftung stehen die Lebensgeschichten geschrieben, wie sie im kurzen, eingefangenen Augenblick des Kamera-Klicks aufleuchten. Es ist einem Vertrauen zu danken, das beide, Photograph wie Photographierte, sich schenken konnten selbst in kurzer Zeit. Die Einblicke in das durch die Natur bestimmte, oft Ruhige, Private, fast Intime zeigen sich in fast jedem einzelnem Moment. Und werden kontrastiert durch eine völlig andere Atmosphäre in der autarken und autonomen Stadtgründung ausschliesslich für Senioren ab 55 Jahren in Sun City, im Südwesten der USA, ein Ort umgeben von Wüste.

Selbstverwaltet gehen die dort Ansässigen mit der Verwirklichung des sprichwörtlichen American Dream um. Sie erfinden sich nach ihrem ersten Arbeitsleben noch einmal neu und zeigen zum Beispiel ihre schönen Beine auf der Theaterbühne oder fahren Streife – endlich Sheriff!

Da sie alle ihren Lebensort selbst gewählt haben, schätzen und bereichern sie ihn tagtäglich. Die Stimmung ist heiter, wird immer wieder berichtet. So hat es auch Friedrich K. Rumpf erfahren.

Das Leben ist ihrem Rhythmus angepasst, sie nehmen sich mehr Zeit und lassen sich nicht mehr von den Ansprüchen rasanter Gesellschaftsmodelle drängen. Selbst wenn sie sich manches Mal einer Werbepose mustergültig in Szene setzen, so gelingt ihnen doch und dem Blick des Photographen mithin ein ironischer Seitenblick auf das Dasein im Alter.

In der Anmutung anders, vom Lebensgefühl her jedoch nicht so arg unterschieden, wie es die Aufnahmen vielleicht suggerieren mögen durch das Sujet Bäuerlichkeit in der Schweiz, ist beiden Orten etwas gemeinsam: Das Leben in Gemeinschaft. Das Gefühl, noch nützlich zu sein und eine gute Zeit zu teilen.

Weiterhin übernehmen sie ihre Aufgaben, haben ein aktives Leben, das sie nicht auf ein Altenteil schiebt wie so oft in anderen Gesellschaften oder Heimerfahrungen unserer Zeit. Sie empfinden ihr Dasein als nicht überflüssig oder lästig gar, das erleben die Knechte und Mägde in Oeschberg nicht weniger als die von der ständigen Sonne beschienen US-Amerikaner. Sie können weiterhin mit ihren Tieren beisammen sein und dem nachgehen, was sie am besten können. Das Leben auf dem Hof entspricht ihnen und ihren Lebenserfahrungen, so lassen sich die Portraits lesen, hier im ruhigen Fluss. Die Optimierung, wie sie allerorten den Shareholdern von Betreuungs-Aktiengesellschaften versprochen werden und durchgeführt werden müssen, ist diesen beiden Alterssitzen fern.

Das Alter hat noch viele Facetten. RUHESTÄNDE ist eine Reihe. Weitere Stationen und Orte besucht Friedrich K. Rumpf demnächst: Ein Gefängnis für alte Strafgefangene in den USA, ein Heim für alte Soldaten in London und in Mexico-City eine Heimstatt für alte Prostituierte.

Womit in jedem Anfang der Funke leuchtet, der uns alle ins Alter begleitet. Wir sind aufgerufen, diesen Lebensabschnitt, der zudem immer länger wird, mit immer neuen Ideen und Lebensmodellen zu füllen. Vorliegend haben wir schon einige Beispiele mit viel Sinn für den Moment und das Momentum.

Herzlichen Dank an Friedrich K. Rumpf und seine Sicht-weise.

Dr. Kerstin Mehle